OHG'ler in Zagreb
Internationale Begegnung
Völkermord vor Gericht – der Model International Criminal Court in Zagreb
(jk.) Wie ist Recht zu sprechen, wenn die Angeklagten des Völkermordes beschuldigt werden? Dieser Frage sind zehn Schülerinnen und Schüler der Q1-Stufe vom 17. bis 23. Mai 2023 in Zagreb im Rahmen des Model International Criminal Court (kurz MICC) nachgegangen.
Menschenrechte und Völkerverständigung
Der Einladung des von der Kreisauer Initiative mitgetragenen MICC, in Zagreb (Kroatien) zusammen mit dreißig Gleichaltrigen aus Serbien, Kroatien und der Slowakei die Bedeutung von Menschenrechten und die Funktionsweise des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC) modellhaft in drei simulierten Prozessen zu erschließen, sind wir am 17. Mai 2023 gefolgt. In den folgenden Tagen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neben einer Orientierung, welche Bedeutung Menschenrechte und internationale Gerichte haben, auch drei exemplarische Fälle historisch und juristisch erschlossen und darauf gründend rollengebunden Partei ergriffen bzw. Recht gesprochen. Diese realen Fälle haben grauenvolle Momente der Zeitgeschichte aufgedeckt: Der deutsche Unternehmer Friedrich Flick wurde 1947 im Rahmen der Nürnberger Prozesse für seine Beteiligung an der tausendfachen mörderischen Ausbeutung von Zwangsarbeitern angeklagt. Der Fall des im Bosnienkrieg an den Exekutionen tausender muslimischer Bosnier bei Srebrenica beteiligten Kroaten Dražen Erdemović ist 1997 vor dem Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien verhandelt worden. Simon Bikindi, ein Musiker und Politiker in Ruanda, ist für seine zum Völkermord und Hass aufstachelnden Lieder vor Gericht gestellt worden, um so seine Verantwortung für den 1994 an den Tutsi begangenen Völkermord zu klären. Wie diese herausfordernden Aufgaben und Themen bewältigt worden sind, stellen nun nachfolgend die jeweiligen in die Rollen von Strafverfolgung, Verteidigung, Gericht und Presse hineingetauchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer dar:
Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft/Anklageerhebung (Alma Ferrari, Paula Müller und Greta Wiebe):
Für das MICC haben drei von uns die Rolle der Staatsanwaltschaft übernommen, deren Aufgabe darin bestand, die Verdächtigen anzuklagen sowie den Strafbestand gemäß der Rome Statute genau zu erklären und festzustellen. Jeder von uns hat mit einem anderen Fall gearbeitet: Friedrich Flick wurde von uns für Verbrechen gegen Menschlichkeit und Versklavung angeklagt, da er während des zweiten Weltkrieges menschenunwürdige Zwangsarbeit betrieben hat. Simon Bikindi war Sänger während des Genozids der Tutsi in Ruanda. Der Sänger wurde wegen Genozid angeklagt. Während des Jugoslawien-Krieges hat der kroatisch-bosnische Soldat Drazen Erdemovic über 70 bosnische Muslime unter Zwang erschossen und wurde daher für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Um unsere Anklagen zu formulieren, haben wir viele Materialien zum historischen Hintergrund sowie Zeugenaussagen ausgewertet. Dafür wurden wir in Vierergruppen mit anderen Schülern aus der Slowakei, Kroatien und Serbien eingeteilt. Für diese Aufgabe war es von großer Bedeutung, sehr präzise zu lesen und zu arbeiten, um unsere Position gut verteidigen zu können und trotzdem noch einen objektiven Blick bewahren zu können. Bei der finalen Verhandlung kam es vor allem darauf an, die Richter mit starken Argumenten und Antworten zu überzeugen.
Die Aufgabe der Verteidigung (Ben Engelbert, Théo Stilhammer):
Als Teil des "Defence"-Teams beim MICC gilt es Fälle in Relation zur Rechtsgrundlage zu setzen und diese zu erarbeiten. Dies erfordert ein weitreichendes Verständnis von den in den Dokumenten dargelegten Zusammenhängen und Hintergründen sowie die Fähigkeit, ein objektives Vorgehen zu erörtern. Hierbei muss in der Gruppe umfangreich kooperiert werden, um ein argumentatives, geordnetes Vorgehen festzulegen. Der Umfang der Tat spielt keine Rolle, dem Mandanten muss die Verteidigung gewährt werden. Die Fälle werden im Rahmen des Programms realitätsnah umgesetzt und bieten die Möglichkeit zum vollen Einsatz und zur Ausschöpfung von persönlichen Fähigkeiten. Auch der Gruppengeist, die Arbeit mit Gleichgesinnten, wird durch die gemeinsame Arbeit aktiv gefördert.
Die Aufgabe der Richter (Paul Juhle, Pelle Lorenz, Rayan Zaghal)
Unsere Arbeit als Richter war vor allem gekennzeichnet durch den Wechsel der Perspektive auf den jeweiligen Fall. Besonders schwierig war das beim historischen Fall Friedrich Flicks, welcher bei den Nürnberger Prozessen 1947 der Sklaverei bezichtigt wurde. Dieser Fall mag für die deutschen Teilnehmer wohl der bedeutendste Fall sein, da wir an ihm besonders mit einem historischen Blick die Wirksamkeit der Nürnberger Prozesse sehen, welche in Deutschland mit der Kontroverse um die Flick-Kunstsammlung bis heute Nachwirkungen hat.
In unserer Vorbereitung hatten wir als Richter also besonders viel Arbeit, die sich zum einen mit der Einarbeitung in die legalen Grundsätze des ICCs beschäftigte und zum anderen mit der spezifischen Analyse der uns präsentierten Fälle.
Während der Vorbereitung der Urteile wurden wir außerdem mit moralischen Dilemmata konfrontiert. Z. B. mit dem Fall von Dražen Erdomović, einem in der Realität verurteilten Mörder, der 1995 70 Menschen in Srebrenica erschossen hat, aber dennoch in unserer Verhandlung freigesprochen wurde. Für uns stand er unter Zwang, so zu handeln, was ihn rechtlich unserer Meinung nach nicht schuldig macht.
Da die Fälle von tatsächlichen Beispielen in der Geschichte inspiriert waren, ließ sich unsere Entscheidung gut zu der Entscheidung tatsächlicher Richter vergleichen. Der Musiker Simon Bikindi aus Ruanda wurde beispielsweise in unserer Bearbeitung des Falls für Beihilfe zum Genozid an den Tutsi 1994 verurteilt, während er in Wirklichkeit in diesem Punkt freigesprochen wurde.
Alles in allem hatten wir eine bereichernde Zeit mit neuen Erfahrungen in den Bereichen Sprache, Kultur, Recht und Moral. Wichtig war für uns zudem der Austausch mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen.
Die Aufgabe der Presse (Leni Hellmann, Esmur Mandriew)
Als Presse haben wir uns während der Prozesse observierend im Hintergrund gehalten. Nichtsdestotrotz ist die Wichtigkeit unserer Aufgabe nicht zu unterschätzen: Wir haben die gesamte MICC-Session sowohl bildlich als auch schriftlich festgehalten. In der auf die Urteilsverlesung folgenden Pressekonferenz brachten wir durch zielgerichtete Fragestellungen an die Richter, die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft weitere Hintergründe über die jeweiligen Fälle in Kenntnis. Die Ergebnisse des Presse Teams, welche in Videoformat auf YouTube abrufbar sind, sind von großer Bedeutung für die Teilnehmer, da diese die gesamte Session dokumentarisch festhalten und somit ein wichtiges Erinnerungsstück an die Zeit in Zagreb darstellen.
Schlusswort des begleitenden Tutors (Sönke Jaek):
Das Seminar ist in seiner Konzeption und Realisierung im höchsten Maße bemerkenswert gewesen: Die jungen Leute aus den vier beteiligten Nationen haben beeindruckend miteinander die Fälle erschlossen und verhandelt. Ihre dabei gezeigte Professionalität im Umgang den hochkomplexen Fällen, der Bedeutung von Völkerrecht und Menschenrechten und ihre Kompetenz, sich dabei auf Englisch zielführend wie tiefgehend argumentativ auseinanderzusetzen, weisen auf das hohe Potential dieses von Kerim Somun und seinem Team entworfenen und mit viel Herzblut wie Sachverstand realisierten Projekts: So funktioniert tatsächlich die Befähigung zur Völkerverständigung und die Durchsetzung von Menschenrechten. Darum sind wir stolz darauf, erstmals an diesem herausragenden Projekt haben teilnehmen zu dürfen und freuen uns auf die Fortsetzung.